Ich komme nicht zum schreiben.
Schon vor ein paar Tagen wollte Ich mich hinsetzen und schreiben.
Doch nach langen Fahrten, auch wenn sie nicht anstrengend waren, mich nicht so sehr ausgelaugt haben, fehlt mir die Energie zu schreiben.
Klar könnte ich ein paar Worte, ein paar Fakten kurz erwähnen, ein Lebenszeichen, ein kurzes Statement hinterlassen.
Aber wen interessiert das. 69 km gefahren 85 km gefahren 65 km gefahren.
Größere Sprünge kann ich zur Zeit noch nicht machen.
Noch liege ich auch im Schnitt, mein grob errechneter Zeitplan.
Doch Sachen die mir am Herzen liegen, Begegnungen, Bilder die sich mir eingebrannt haben, Momente die ich genossen habe, Freunde die ich gefunden habe, etwas was mich bewegt hat, berührt hat, dem würde ich gerne in meinen Worten, Sätzen, mehr Aufmerksamkeit schenken.
Dazu fehlt dir aber leider nach einem Fahrtag oft die Kraft.
Dann verschiebe ich, dann verschwimmen die Bilder, dann verliere ich manchmal die Worte die ich mir Tags, auf dem Rad schon zurecht gelegt hatte.
Und dann gibt es Momente, Begegnungen, die so eindringlich und berührend gewesen sind, dass sie beinahe unvergesslich geworden sind.
Ich schreibe diese Zeilen am Ende meines Ruhetages, hier auf einem Biker Campingplatz in Budapest. Es ist nicht viel mehr als eine Wiese hinter einem Herrenhaus, einem in den Vororten oft zusehenden Häuser, hoch liegende Fenster, geräumige hohe Decke, nur eine Etage, ein nicht zu steiles Dach deckt das fast quadratische Haus ab. Aus einem der Garagen und Schuppen ist ein Badehaus geschaffen worden, 2 Toiletten, 2 Duschen und 2 Waschbecken. Es ist sehr familiär. Ein überdachter Weg, er bietet Platz für Tische, Stromanschluss für die mobilen Geräte, Sitzgelegenheiten, eine offene Küche, umgibt die Zeltwiese von 2 Seiten.
Es ist günstig und sauber und wird wohl gerne von vielen Reisenden mit Zelt, Radfahrer, Rucksackreisende und Motorradfahrer angenommen.
Nun da sitze ich jetzt gerade.
Habe mir eine Dose Bier aufgemacht, ein Brot geschmiert, ein Glas mit einem Sellerie, Möhren-Krautsalat habe ich schon verputzt.
Und denke an Komarom.
Die letzten drei Fahrtage waren so unterschiedlich. Schöne Strecken, auf alten aufgegeben Landstraßen, unter Alleen, überbreite gut zufahrenden Wege entlang der Donau.
Laut meiner Navigation hätte ich eine Fährverbindungen nutzen sollen, doch ich glaube Linie wurde schon vor langem aufgegeben. Also wurde die Route geändert.
Teils war die Strecke, für den Fahrradweg, im Euro Velo6 sehr schlecht ausgezeichnet.
Ob in der Slowakei, oder im Ungarn, man sieht viele aufgegebene Träume, vielleicht erschaffen Ende der Neunzigerjahre, in der Hoffnung einen wirtschaftlichen Aufschwung mit erleben zu können, Vergnügungsparks verrotten, Campingplätze seit Jahren nicht angefahren, Anlagen über 20 Jahre teils mühsam nur erhalten. Man spürt aber durchwegs, dass auf Sauberkeit und Ordnung geachtet wurde, dass man lange es erhalten wollte. Durchhalten. Vielleicht geht es wieder aufwärts.
Und ja,
ich erinnere mich, auch schon auf der Einfahrt nach Budapest, über die Bundesstraße gestern, ein über 20 km schlauchender Weg, stickig vom Verkehr, den Geruch der Abgase schon fast vergessen, Schlaglöcher und Abrisshäuser, zugemauert, vergitterte Fenster wechselten sich genauso ab wie Neubauten und Zeugnisse aufstrebender Selbstständigkeit. Kioske, Autohandel.
Heute auf meinem Spaziergang durch Budapest, mein freier Tag – ich treffe einen Reisebekannten Rosto, bin zum Frühstück eingeladen, genieße mit ihm viele Gespräche, Reiseerinnerungen und Reiseerfahrungen, genieße mit ihm das Zusammensein.
Budapest hat eine Glanzseite und Schmuckseite, eine authentische Seite, eine historische und eine irritierend reale. Zwischen den Zeilen, neben den Wegen, in den Vorstädten und mitten drin, sind Alterungsspuren, Craquelé, Narben an Häusern, Wänden, Spuren der Geschichte da. Sie sind da und man spürt dass sie angenommen sind. Man lebt mit ihnen.
Jetzt komme ich zu Begegnungen
24.4.2019
Die Fahrt von Gabcikovo nach Komarom
Ich hatte mir die verblieben ca. 200 Kilometer bis BudaPest in drei Etappen vorgestellt.
Nur durch Zufall habe ich im Internet einen Campingplatz, auf der Strecke nach Budapest einem drittel der Strecke, gefunden.
Ich will mich noch nicht zu langen Etappen quälen, mal hindert mich mein Knie, mal meine Kondition, mal der Verstand.
Ich will noch weit und ich möchte es mir nicht verderben.
Ich bin auch heute noch, nach bald 2 Wochen, gut im Schnitt.
Ich bin nicht sehr schnell und nicht zu langsam.
Ein Drittel der Strecke bis nach Budapest waren grob 75 Kilometer.
So kam ich nach Komarom.
Es gibt ein slowakisches Schwesterchen oder Brüderchen auf der anderen Donauseite.
Mit der Überfahrt ins ungarische empfand ich eine sich dem Alltag, den Umständen, den geringeren Möglichkeiten gegebenen, ergebener Haltung. Vielleicht mit mehr Stolz, vielleicht mit mehr Pragmatismus. Vielleicht realistischer. Das Schwesterchen wirkte kampfbereiter, aufstrebender, wagemutige. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch.
Ich kam guten Mutes.
Die Fahrt war lustig. Entweder ich hatte einen glatten Asphalt, dann gab es mächtig Gegenwind oder bei Windstille löste der Asphalt die Langeweile und sich auf, dann wechselte es sich mit groben, holprigen Betonplatten, ab, oder ich kämpfte ich mich über duzende Kilometer Kies und Sand.
Komarom erreicht, mir hatte es gereicht.
Etwas konsterniert stand ich vor einem Eisentor des Campingplatzes.
Eingezäunt wie in einem Lager. Der erste Eindruck war nicht heimelig. Mittig zum Platz, zur Straße hin, stand ein Holzhaus, die Rezeption. Gläserne, verschlossene Türen, mit einem Durchgang zum Platz hinein.
Man eröffnete mir, dass sie nicht viel Platz für Zelte hätten, nur ein kleines Eckchen, direkt schräg gegenüber. Aber ein Thermalbad, ein Schwimmbad und die Anlage dahinter, wären an den Campingplatz angeschlossen. Nun gut dachte ich mir, der Preis ist unwesentlich höher zu den anderen Campingplätzen, soll mir doch egal. Ich war müde und wollte nicht weiter, sah keine Alternative, ergab mich dem kleinen Eckchen, welches man mir zugewiesen hatte, Platz Nummer 1 und fügte mein kleines Zelt zwischen offensichtlich sehr etablierte Camper ein.
Nach kurzer Zeit wurde ich das erste Mal beschnuppert. Freundliche, mit Verlaub gesagt ältere, Herrschaften spingsten mal um die Ecke, begutachteten das Fahrrad, musterten gutmütig das Gepäck, lächelten freundlich und grüßten und schauten staunend auf die Ausrüstung. Es folgten ein paar kurze interessierte freundliche Gespräche, unaufdringlich, zurückhaltend, nett.
Es gab hier eine ausgeprägte Nachbarschaft. Etwas was sich hier wohl über einen sehr langen Zeitraum gebildet hat, aufgebaut, gewachsen ist.
Ich war etwas skeptisch, wenn „die“ sich hier alle kennen, sind meist Territorien abgesteckt, der Schrebergarten eingezäunt, Grenzen klar gesetzt. Grenzen die man nicht übertreten darf.
Ich dachte, das kann ja anstrengend werden.
Die Anlage wirkt teils wie aus den Siebzigern, teils aus den späten Achtzigern, Vorzelte an vor Jahren abgestellten Wohnwagen, grau, matt, von Wind und Wetter gegerbt zeigen ein unglaubliches Durchhaltevermögen.
Ich nutze das Thermalbad, lies mich in dem warmen Wasser treiben, Gedanken versunken betrachtete ich die Besucher. Sie redeten, schwatzen miteinander, viele kannten sich, grüßten, lachten und liessen sich, wie ich, dann an dem schräg auslaufenden Becken nieder.
Angenehm. Es war so angenehm. Alles hatte eine unglaublich friedliche, angenehme Ausstrahlung.
Zurück am Zelt kramte ich meinen Lesestoff aus, schnappte mir mein Telefon und ging zu der Bude auf dem Platz, wollte noch was essen und was trinken.
Dann lernte ich die Nachbarschaft kennen. Von mir hatte man ja schön gehört, das Rad gesehen, vom Nachbarn erfahren es soll nach China gehen.
Was folgte war ein wunderbarer Abend.
Viele meiner Zelt- Platz- und Tischnachbarn kamen aus Zwickau, aus Sachsen, sie kommen aus dem Osten, manche kannten sich schon seit über 30 Jahren, trafen sich dort auf dem Platz neben dem Thermalbad, jährlich, manche zweimal jährlich, an der Bude, gehen seit duzenden Jahren zusammen schwimmen, baden und erholen.
Sie kennen sich. Und ich der Fremde. Ich fühlte mich dort überhaupt nicht fremd, nicht ein Gefühl des Unbehagens zwischen den Nachbarn.
Man kam als Fremder. Ich wurde befragt, und beschaut und man hatte über mich gesprochen. Aber das Gefühl war warm, es war offenherzig, das Interesse war ehrlich, es war schön, war mit dabei. Ich durfte mit an Ihren Tisch, wir tranken zusammen und wir redeten, wir hörten zu, man erzählte und man war zugänglich.
Mitteilsam, aufnahmewillig, offen. Neugierig.
Ich habe nicht mehr all ihre Namen im Gedächtnis, aber ihre Gesichter, Ihre Stimmen, Ihr Lachen.
Der Morgen danach.
Ich setze mich vor mein Zelt, frühstücke mein Müsli, eine Banane, trinke etwas Saft.
Die ersten Frühaufsteher gingen rüber in das angeschlossene Bad, gingen schwimmen, baden.
In Morgenmänteln, mit geschulterten Handtüchern, drehten sie ihre Runde an meinem Zelt vorbei, wünschten mir eine gute Fahrt, eine gute Reise.
Man brachte mir noch Kaffee, Kuchen und ein geschmiertes Brot vorbei.
Frug mich ob ich noch was brauche, Strom, ob ich noch etwas aufladen möchte. Schenkte mir Löffel und Becher.
Sie kommen alle aus dem Osten. Haben eine Zusammenhalt, Offenheit, Herzlichkeit und Freundlichkeit die ansteckend ist, dankbar macht.
Ja Swen aus dem Osten, ich wäre gerne noch einen Tag bei euch geblieben, hätte gerne mehr von euch erfahren.
Im Osten geht die Sonne auf.
Dann ging es weiter für mich.
Komarom – Visegrad 84,4 Kilometer ( kleiner Campingplatz neben der Straße, einzige Besucher seit Wochen, so schien es.)
Visegrad – Budapest 65,5 Kilometer (Es war ein sehr warmer tag, bis 31 °C , hatte zuwenig getrunken, war total platt danach)