2.6. – 4.6 und 5.6. Odessa
Vilkove – Tatarbunary 68 km
Tatarbunary – Satoka 103 km
Satoka Tag am Strand 0 km
Satoka – Odessa 63 km
Leider mussten wir, Richard und ich, das Camp verlassen, alles war belegt, kein Wunder, alles war für den folgenden Tag ausgebucht, die Ruhe, der Strom, die Gelassenheit, die Freundlichkeit, der Service, das leckere Essen, kein Wunder.
Auf der Rausfahrt besuchten wir noch das Lokale Museum, Stadtgeschichte, in Vilkove.
Wieder fand ich über all Spuren deutscher Geschichte. 1814 ist ein Vor-Vorfahre Richards, vom Zaren gerufen, das Land urbar zu machen, den Ruf nach Bessarabien, gefolgt.
Jetzt ist Richard auf den Spuren seines Vaters der mit 12 Jahren 1940 das Land verlassen musste. Es beschäftigte ihn sein halbes Leben. Sein Vater wollte nicht mehr zurück, traute sich nicht, wollte es nicht wieder sehen, jetzt ist sein Sohn auf dem beschwerlichen Weg. Seine Wurzeln suchend, voller Emotionen.
Auf halber Strecke trennten wir unsere Wege, einig, unsere Zeitpläne, unsere innere Uhr. Richard folgte einer Einladung ans Schwarze Meer, ich fuhr weiter nach Tatarbunary. Das war jetzt besser so, es fühlte sich für mich besser an, glaubte auch ihm auf den letzten zwei Tagen vor seinem Lebensziel ihm den Platz zu geben zu müssen, sich seiner Geschichte ganz hinzugeben.
Tatarbunary war ein Kaff. Zentral ein kleiner Vergnügungspark, ein Park wie er in allen russischen, ukrainischen Zentren zu finden sind. Kinderspielplätze, Platz für Gemeinsamkeit, Treffpunkte, Parkbänke, Schatten spendende Bäume, werden im Osten groß geschrieben. Familie, Nachbarschaft, Druzhba. Leider gehen viele Anlagen, mangels Geld, so langsam danieder. Trotzdem werden sie, auch verrottet, rostig, gerne angenommen, genutzt.
Es war beschwerlich etwas zu essen zu finden. In einem Magazin holte ich mir das Nötigste. Das Hotel, über einem Kaffee, einfach, aber zweckmäßig. Es hatte Strom, ein funktionierendes Internet, notwendig oder hilfreich für meine Planungen, und eine saubere Dusche.
Klar könnte man sich in dem Ort auch auf der Straße versorgen, Abends aus dem Ort herausfahren, sich ein stilles Plätzchen suchen, wild zelten, und 10 oder 5 Euro sparen. Ich bin ja keine Pupe, aber ehrlich gesagt, ich zahle dann doch gerne die zehn Euro für Strom, Wasser, Bett und Internet. Könnt ihr euch vorstellen wie Haut, Haare und Kleidung nach stundenlanger, vielleicht sieben bis zehn Stunden auf der Straße, Fahrt auf den Wegen, über Sand, Staub und Schmutz, verschwitzt, klebrig, sechs Liter Flüssigkeit sind durch die Poren geronnen, versalzt ist?
Mir ist da eine Dusche was wert. Solange ich meine Tagesetappen so planen kann, nehme ich mir den Luxus.
Ich bin auf einer neuen Stufe.
Tatarbunary nach Satoka 3.6. 2019
Ich bin auf einer neuen Stufe.
Aber das Gefühl hatte sich schon länger ausgebreitet, durchströmt, sich bemerkbar gemacht. Es kam aus dem Bauch, aus dem Herzen, beseelte, beflügelte. Es waren erst Ahnungen, unmerklich klein, aber Kraft gebend, stärkend.
Ich hatte das Schwarze Meer erreicht, war raus zum 0 Kilometer Punkt gefahren, zur Mündung der Donau, es war befreiend. Ich hatte meine 2 Etappe, eine Stufe, mein gesetztes zweites Ziel, welches ich erreichen wollte, erreicht. Über 2600 Kilometer.
Ab jetzt geht es nach Odessa. Ich kann noch gar nicht definieren wie weit meine neue Stufe reichen wird. Wird es bis zur Fähre sein, wird es bis nach Batumi reichen oder komme ich auf dieser Stufe, einer Entwicklung, vielleicht sogar bis nach Tiflis. Ich werde es spüren.
Es sollte heute eigentlich regnen, bin aber trotzdem guten Mutes recht früh heute gestartet. Der letzte Ort lud nicht zum verweilen ein. Ich wollte auch noch mal zur Küste, an den Strand. Also habe ich mich auch für die schwierigere Strecke von 85 km quer Feld ein, auf direktem Weg nach Satoka gemacht.
Voller neuem Tatendrang, entspannt, meiner sicher, kein Weg noch so schlecht, kein Schotter, kein Berg störte mich.
Und es war schwierig, und es war heiß und es hat schlechte Straßen gehabt, aber es gab keinen Regen und zu Belohnung weil auf dem letzten Stück der Streifen am Meer entlang gesperrt war durfte ich noch einen 21 km langen Umweg fahren. Es hat mich nicht gestört. Hat aber unendlich viel Spaß gemacht. Zum Glück hatte ich heute für die über 103 Kilometern und 7 Stunden reine Fahrtzeit genug zu trinken dabei.
Satoka. 4.6.2019
Ein Badeort, ein Ausflugsziel der Ukrainer, Sandstrand, zahllose Buden, Appartements, neue Betonbauten, vier, fünf geschossig, Holzhütten aus den 70er Jahren, flache ursprünglich Häuser mit Gastquartieren, Ruinen, moderne Hotels, Bierbuden alles wild gewürfelt auf X Kilometer am Strand entlang.
Direkt im Zentrum, mein Weg stieß im rechten Winkel auf die Hauptachse des Vergnügungsort, auf das zweite Haus. Ein flacher Bau, ein kleiner Innenhof umgeben von einem kleinen Schrebergarten, einem zentralen Plumpsklo und von gut einem duzend kleiner Kammern, an einander gereiht. Ein freundliches Gesicht, ein älterer Mann mit nackten Oberkörper, sonnengebräunt, ein zäher Körper, klassisch, sprach mich an, guckte, winkte, gab zu verstehen dass man bei ihm wohnen konnte. Ich schaute mir die Kammern, die Zellen, an.
Ich war begeistert. Es war nichts aufgesetztes, es war üblich, normaler Standart, sehr einfach, sehr nett, sauber und sehr günstig.
Ich quartierte mich dort für 2 Nächte ein. Verbrannte mir am Folgetag, nach einem wunderbaren Bad im Meer, am Strand, ich schlief ein, den Rücken und die Oberschenkel. Ich weiß nicht wie lange ich dort gelegen hatte, dachte nicht dass ich mich der Sonne dort so lange ausgesetzt gehabt hätte, war aber dann doch ganz nett rot.
5.6. 2019
Satoka – Odessa
Ich lasse mir die Laune doch nicht vermiesen. Auch wenn manchmal meine Navigations app schon verdammt viel Humor abverlangt.
Die Fahrt nach Odessa, auf kurzem Weg geführt, brachte mich über unzählige Kilometer durch Vororte, Industriegebiete, nur langsam rollende Schotterwege, nicht viel Schönes, nichts Besonders.
Die Straße führte vorbei an Tschornomorsk, der vorgelegenen Hafenstadt, Abfahrtsstelle der Fähren übers Schwarze Meer. In der Ferne sah ich eines der Schiffe liegen. Vielleicht war es die Kaunas oder die Greifswald, Fähren die Batumi, Poti anfahren.
Odessa.
Odessa, das Paris des Osten.
Charme, Charme Charme. Gelassenheit, Flair. Kunstvolle Gebäude, Geschichte, jeglicher Luxus, Armut, Stolz und Verzweiflung, Mut, Kreativität und Pragmatismus liegen hier dicht nebeneinander.
Ich schaffe mein Gepäck und Rad in ein winziges Hotelzimmer, gehe duschen, dann raus die Stadt besuchen, sehe das spätbarocke Opernhaus, stehe auf der potemkinschen Treppe, sitze an der Flaniermeile, höre die Musik, sehe die unglaublichsten Gestalten und bezahle für mein Abendessen mehr als für 2 Nächte in meinem Hotel inklusive einem Frühstück.
Jetzt lasse ich die Stadt auf mich zu kommen.
(Nebenbei muss ich mich um die Fähre kümmern, und Geraldine vom Flughafen abholen. Sie kommt, sie will mich gerne besuchen. Willkommen. Es wird spannend in Odessa)