3.5.2019 -5.5.2019
Von Baja nach Mohacs(Ungarn), nach Osijek (Kroatien) und dann eigentlich nach Ilok.
So, nun habe ich mir meinen Computer genommen, ich möchte nun endlich mit meinem Tagebucheintrag beginnen.
Ich sitze auf dem Bett. Habe das Schreibprogramm geöffnet, einen Blick in den letzten Eintrag geworfen, eine Übersicht über die Strecke, einen Kartenausschnitt aufgeschlagen, mein Bilderarchiv geöffnet.
ach – was schreibe ich, was alles, was nicht. Wie sehe ich das heute? Nur ein zwei Tage später. Schon blicke ich mit einem wenig anderen Blick auf die Geschehnisse der vergangenen Tage.
Haben Einzelheiten einen anderen Stellenwert.
Vielleicht schreibe ich diesen Eintrag unter den Titel „unverhofft“.
Das kleine beschauliche Örtchen Mohatsch (Mohacs) war schnell erreicht.
Die Abfahrt aus Bajar war leicht. Ich wollte doch nun besonnen vorgehen, hatte die Wetterprognose studiert, mich ein wenig mehr über Strecke, und Distanzen informiert.
Wie wollte ich es handhaben?
Die nächsten Ortschaften waren, für die nächsten drei Tage, schnell ausgewählt. Mohacs noch in Ungarn, dann nach Osijek in Kroatien und dann vielleicht noch bis nach Ilok.
So hatte ich recht kurze Etappen, schon in den frühen Mittagsstunden des ersten Reisetages, erreichte ich Mohacs, mit der Fähre ging es rüber zu dem kleinen, beschaulichen Örtchen, ich fand eine sehr günstige Unterkunft, verstaute meine Sachen und begab mich auf eine Erkundungstour durch den Ort.
Auch der zweite Tag war recht locker. Gutes Wetter, leichter Rückenwind und nach nur 60 Kilometer erreichte ich schnell Osijek im Osten Kroatien.
Wieder musste Geld gewechselt werden. Die letzten ungarischen Furint habe ich nur noch mit Mühe an ein paar ungarische Touristen, zu einem für sie sehr vorteilhaften Kurs, abgeben können.
Jetzt brauchte ich Kuna. An einem Automaten zog ich mir den Gegenwert von 40,- €. Es sollte reichen für 2 Tage Kroatien, Essen, Trinken und vielleicht auch eine Übernachtung.
Unverhofft früh fand ich auch dort eine günstige Unterkunft, ein einfaches, ein kleines Zimmer, Toilette und Bad im Flur auf der Etage, aber ausreichend. Zeit genug ein paar Lebensmittel Besorgungen zu machen, Essen für den Abend, für das Frühstück, und gerne kaufe ich mir einen Liter Apfelsaft, um die ersten drei Trinkflaschen mit etwas mehr Geschmack und auch etwas Zucker anzureichern.
Auch da hatte ich noch mal genügend Zeit die Gegend, einen Teil der Altstadt und einer ehemaligen Befestigungsanlage aus dem 18 zu inspizieren. Die Wirkung, die Ausstrahlung der alten Gemäuer beeindruckten mich. Die Wege, die Abstände zwischen ein und zwei geschossigen Häusern sind unglaublich breit. Alles steht satt und breit dort, beharrlich, Geschichte, Geschehnisse versteinert, Häuser belebt, bewohnt, benutzt neben verlassenen, offenen, wartenden, archaischen, verharrenden Fassaden, großen Komplexen, unentschieden zwischen Aufgabe und baldiger Renovierung. Es war wie in einem unwirklichen Film, Menschen zwischen den Kulissen, zwischen der Geschichte, dem Vergangenem und dem Sein.
Ich sah Besucher auf einem Flohmarkt, in den Kaffees, in den Seitenstraßen, aber konnte bis auf wenige Ausnahmen niemanden als Bewohner ausmachen.
Morgen wollte ich weiter.
Leichter Regen, Nieselschauern waren für ein paar Stündchen, streckenweise angesagt. Der Tag darauf sollte auch nicht besser werden. Einen Ruhetag konnte und wollte ich mir nicht leisten.
Weit sollte es darauf hin nicht gehen. Nach Ilok, das war für mich sicher, sicher nicht zu weit, auch bei schlechtem Wetter, gerade um die 75 Kilometer. Ich konnte mir die Strecke in einfache 25 Etappen aufteilen.
Und es war frisch am Morgen, es war bedeckt, ein Feuchte lag schon drohend in der Luft. Niesel, ein stetiger ganz leichter Nieselregen.
Bevor ich den Regenponcho oder sogar die Regenhose anziehen wollte, wollte ich soweit wie es nur ging ohne kommen.
Im Regen fahren ist bescheuert.
Zieht man keine Regenkleidung an nässt einen der Regen, hat man Regensachen angezogen schwitzt man und selbst unter dem immer noch nach unten recht offenen Regenponcho staut sich die Körperwärme, der Schweiss, die Luft, es atmet nicht…man wird nass.
Egal, dreimal 25 Kilometer, dreimal vielleicht 1,5 Stunden..und dann nach einer schönen Unterkunft suchen.
Sonntags in Kroatien, und Sonntags auf dem Land. Nichts los. Die Männer sitzen in den einem der zahlreichen Kaffees, überall und in jedem Ort gibt es eins, sie rauchen, trinken Kaffee, Bier, quatschen. Verbringen dort Stunden, treffen sich mit Freunden, Nachbarn.
Erste Pause, ich steige ab. Es regnet mittlerweile richtig. Ich genehmige mir einen Kaffee, esse ne Banane und ziehe mir alles an Kunststoff über was mich schützen könnte.
Aus der Ferne sehe ich einen bepackten Radreisenden auf mich zu kommen, winken, und weiterfahren.
Ob ich ihn wieder sehe? vielleicht hat er mich am Kaffee stehend nicht als Reisenden ausgemacht, hat deswegen nicht gehalten. Nun, egal. Ich packe zusammen und will mich gemütlich auf meinen nächsten Abschnitt begeben.
Nach wenigen hundert Meter schon sehe ich ihn unter einer Bushaltestelle stehen.
Er zieht sich um. Die Begrüßung, einfach, sachlich und ein kurzer Austausch. Es ist seiner fünfter Regentag, täglich zieht er sich zweimal um. Christof 68 Jahre alt. Ja er will auch Richtung China.
Wir wollen ein Stück zusammenfahren, später gemeinsam einen Kaffee trinken, dann mal sehen.
Das war der Anfang vom Ende.
Regen, schlechte Sicht, das Wasser rinnt mir über die Stirn die Wangen runter, ich spüre den Fluss.
Ich lasse ihn vorfahren, hefte mich dran. Er tritt. Er tritt einen schweren Gang, drückt das Rad dem Regen entgegen, kräftig, gleichmäßig, konsequent, strikt.
Er ist schnell. Ich habe Mühe. Es geht weiter. Die Gegend verschwimmt, wir rauschen durch kleine Ortschaften, vorbei an nass gesogenen Feldern, schweren Lehmböden. Es wirkt alles grau, triste. Der Tritt wird schneller, gleichmäßiger, die Atmung stellt sich dem neuen Rhythmus des Tritts.
Ich sehe nur die sich leicht wiegend Bewegung seines Oberkörpers. Stoisch, beharrlich, unermüdlich, diszipliniert wirkt er.
An Kreuzungen, Weggabelungen, verlangsamt sich kurz die Fahrt, wir wechseln ein paar Worte, ich sagte ihm er sei schnell, ich will eh nur bis Ilok, das schaffe ich vielleicht bei dem Tempo, er sagte er will noch weiter.
Aus der Schweiz kommt er. War Bauer. Fährt jetzt seit 5 Jahren Rad. War schon hie und da. War schon zweimal zum schwarzen Meer. Jetzt will er zum Pamir.
Er sei nicht schnell, fahre nicht soviel, die Geschwindigkeit, die Leistungen kommen mit der Zeit von ganz alleine. Mit der Zeit, nun ja.
Ein Blick auf seine geplanten Etappen zeigen mir nur Distanzen weit über 100 Kilometer. Am kommenden Freitag will er in Burgas sein. Ich sagte das sind über 800 Kilometer, er quittierte das mir nur mit einem Schulterzucken.
Eine kurze Pause, ein Kaffee wird in Vukovar genommen. 38 Kilometer sind gefahren. Alles ist nass. Wir sitzen neben den Fahrrädern draussen, können nicht lange pausieren, die Kälte kriecht in den sich beruhigenden, sich schnell abkühlenden Körpern hoch.
Wir starten wieder. Unablässig geht er voran. Auch an den drei Rampen, sehe wie er schaltet, geht langsam an den Berg, tritt, schiebt sich dann konstant nach oben. Abfahrten nimmt er ungebremst. Die Tropfen schlagen ins Gesicht, treffen die Augen, die Lieder, es sticht. Behindern die Sicht. Ich muss die Geschwindigkeit bergab verringern. Nach wenigen Minuten ist der Körper wieder auf Betriebstemperatur, die Kälte wird rausgedrückt, Füße und Finger brauchen noch.
Ilok.
Ich schnaufe. Alles rinnt. Der Scheiß rinnt mir in die Augen, wird vom Regen abgewaschen. Die Handschuhe triefen, die Kleider sind schwer. Der Ort wirkt verlassen.
78 Kilometer. Aus meinen kleinen kurzen Teilabschnitten ist nichts geworden. Nun gut. Ich bin da.
Christof nimmt nur noch einen Kaffee mit mir. Er will noch weiter. 50 Kilometer bis nach Novi Sad.
Das tue ich mir nicht an. Jetzt Vernunft walten lassen. Über das Mobiltelefon, die Verbindung ist schlecht und langsam, suche ich nach einer Unterkunft, einem Hostel. Ich kann mit diesen nassen Sachen nicht zelten gehen.
In Ilok ist die einzige zu findende Unterkunft bei 40,-€ drüber auf der anderen Flussseite beginnt Serbien. Es soll günstiger sein. Das müsste zu schaffen sein.
Ich verprasse in einem Restaurant meine letzten Kuna, streife mir die nassen Sachen wieder über und fahre, von nun an wieder alleine, zu der günstigsten Pension, die ich über mein Telefon habe finden können, 11 Kilometer weiter.
Ein eiskalter Wind pfiff auf der Brücke, kühlte zusätzlich, erschwerte es mir wieder in den Tritt zu kommen, von Grenzstation zu Grenzstation, Kroatien, Serbien. Man lies mich vor, warf einen Blick auf meinen Pass, lies mich ziehen.
Nur noch 8 Kilometer dachte ich, dann ist genug, dann ist es genug für heute. Ich sehnte mich nach einer heissen Dusche.
Weiterhin Rückwind. Was für eine Wohltat. Solange ich mit Rückwind fahre kühlt er mich nicht zusätzlich aus. Stehenbleiben, auf die Karte schauen, die Entfernung abschätzen war direkt unangenehm, ich begann zu frösteln, die Zehen wurden kalt, die Finger eisig.
89 Kilometer.
Ich stehe vor dem verschlossenen Tor des Hostels. Niemand macht auf. Keiner reagiert auf meinen Anruf. Ich hatte gebucht, ich hatte eine Buchungsbestätigung.
Was sollte ich tun? Zurück zu dem letzten Ort. Sieben, Acht Kilometer gegen den Wind.
Aber zurück? Wollte ich nicht. Zelt aufschlagen? Weiter auf der Strecke, nach irgendeiner anderen Absteige schauen? Ich durfte nicht länger warten, nicht weiter auskühlen.
Weiter.
Weiter. Körperlich fühlte ich mich gut. Nur kalt, kälter durfte es mir nicht werden. Ich musste wieder in Bewegung kommen. So lange bewegen bis ich an einer Stelle, an der ich bleiben kann, angekommen bin.
Und so trat ich wieder in die Pedalen. Es lief und es lief weiter, ich nahm den Rhythmus wieder auf, kam wieder in den Tritt und rauschte wieder mit hoher Geschwindigkeit weiter.
Aber es war nichts zusehen, nichts zu finden. Alles war zu, geschlossen oder aufgegeben. Es dämmerte. Der ganze Tag war schon dunkel, jetzt schaffte die immer tiefer stehende Sonne es bald gar nicht mehr durch das Grau, durch den Regen die trübe Landschaft zuerhellen.
Ich rollte und trat.
Unablässig einfach weiter. Was sollte ich anderes tun? Es war später Nachmittag. Dann musste ich einfach in die nächste Stadt kommen, egal wie. Einfach weiter treten, dachte ich. Hier ist nichts.
Ein neuer Radweg öffnete sich von der Seite. Er war glatt, er war schnell und er gab Hoffnung. Kein Kies, keine Schlaglöcher nichts was bremste. Hier lief es und er gab Zuversicht, ich schaffe es.
Dann begann ich rückwärts zu zählen. Nur noch acht, nur noch vier nur noch zwei Kilometer.
Mein Blick viel immer wieder auf meinen Tachometer.
Novi Sad erreicht.
122 Kilometer in 6 Stunden, und Regen bei durchschnittlich 9 Grad.
Ich suche das Zentrum, ich nehme mein Mobiltelefon, suche ein Netz, suche eine Hotelplattform.
Nichts.
Kein Netz.
So gondele ich langsam im Zentrum durch die Straßen.
Entweder die Absteigen waren teuer, richtig teuer oder ausgebucht.
Dann stand ich vor dem Zenit.
Das Zenit hat 3 Sterne. 35,- € plus Frühstück, ein Muß, also 42,-€ bitte der Herr.
Das war ein teurer Spass heute.
Aber ich bin wirklich auf dem Zenit. Hier gibt es nicht nur Klopapier auf der Toilette (in Osijek nicht!)..sondern alles, richtige Seife eine tolle Dusche, einen Fön..welch ein Luxus.
Ich nehme das Zimmer, für 2 Nächte, ich muss alles trocknen, ich brauche eine Dusche.
Und ich dusche. Kennt ihr das wenn man aus der Kälte kommt, sich unter eine heisse Dusche stellt und tausende kleine Nadeln stechen?
Das Abendessen bestand aus 3 Broten, 2 Bier und 2 Wodka.
Bilder im Anhang,
von den letzten 3 Tagen
Von Christof dem Radfahrer, von Marcel einem Wanderer auf dem Weg nach Istanbul, Bilder aus Osijek, der Fahrt nach Novi Sad und einem kleinen Rundgang heute.