stehe vor Wien

20.4.2019
Vier Tage sind seit meinem letzten Eintrag vergangen. Es gab ein rauf und ein runter.
Mutig wollte ich weiter, meist gut gelaunt, erwartungsvoll, manchmal skeptisch, aber vorwärtskommen.
Von der Schlögener Schlinge, ehemals ein Bastionsort und Badeplatz der Römer, an ihrem nördlichen Verteidigungslinie, den Limes ging es nach Linz, zu Karl.
Ich schätze Karl, auch seine beim Lachen fast zugekniffenen freundlichen Augen, sein breites Lachen lässt ihn strahlen, für seine Bildung, sein Interesse und seinen Biss und Durchhaltevermögen.
Am meisten schätze ich aber seinen Blick auf die Welt.
Ich fahre der Sonne entgegen, sagte er, der aufgehenden Sonne, ich folge den Spuren der ersten Wanderungen. Die Sonne weckt, wärmt und strahlt Gutes aus. Ich spüre beim Aufbrechen die Kraft.
Und dann knallt dir unerbittlich durch das breite Tal der Nordwind entgegen. Nach kalten Nächten, die Muskeln steif von der letzten Anstrengung, die Sehnen gereizt, die Gelenke und meine Füße schmerzen, stemme ich mich gegen den Wind. Er will mir nur zeigen, dass er es mir nicht zu leicht machen will, auf den glatten Strecken, er weiss Mittags kommt noch die Sonne, genug sich zu erholen, er will mich zu Rast zu zwingen. Beharrlich trete ich weiter. Zähle Kilometer, Minuten, Abschnitte, will denken, mich ablenken.
Ein Fehler. Es ist ein Fehler auf die Uhr zu schauen. Die Zeit vergeht nicht, nicht schneller wenn man auf sie achtet. Alles kommt einem länger, schwerer, kälter vor.
Ich wusste es wird Phasen mit schwerem Gemüt, mit Einsamkeit, mit Zweifeln kommen. Ich wusste aus meinen Reiseerfahrungen, dass sie recht früh, das erste mal, kommen.
In Erinnerungen an die gerade fast fertig renovierte Wohnung, an mein Enkelkind – warum fährt man dann weg?
Aber das ist es nicht. Die Zeit vergeht. Vergeht und man muss sie nutzen, darf seine Zeit nicht verschwenden, sollte achtsam, behutsam sie einteilen…und sich bewusst sein dass man sie und nichts zurückholen kann. Respekt vor der Zeit, deiner Zeit die dir gegeben ist.

Und so trete ich weiter. Ich baue darauf, dass sich mein Körper mit den Tagen, mit den Anstrengungen, mit der Aufgabe wächst, sich regeneriert. Noch habe ich mich nicht ganz eingefunden. Suche in meinem Zeltlager den besten Ablauf für Aufbau und Abbau, für Platz und Zeit. Ordnung in 5 Taschen ist das eine, Gewicht, Nützlichkeit und Bedarf das nächste.

Ich hatte 2 Pakete Nudeln. Das ist ein Fehler wenn man nur eines kochen will, irgendwann, und ein weiteres noch überall und jederzeit nachbekommt. Ich habe immer noch 2 Pakete Nudeln, traue mich aber nicht eines weg zu schmeißen, vielleicht koche ich ja morgen ein Paket in Hainburg, mein nächstes Ziel, vielleicht ja. Gedanken am Rande, Gedanken auf dem Rad.

Was mich auch ein wenig belastet ist die nicht zu begreifende Dimension, die Entfernung, die Strecke. Ich staune wie Menschen reagieren, bin irritiert welche Fragen sie stellen, was ihnen zuerst einfällt, wenn ich ihnen sage, ich möchte mit dem Rad nach China fahren.
Sie machen sich Sorgen und Gedanken über Emotionen, fragen nach meiner Familie, nach meinen Freunden. Es ist schwer. Schwer zu verstehen, zu erklären.
Was sind schon die paar Kilometer, die paar Stunden.
Ich höre auf dem Campingplatz die Geschichte der Anreise meiner Platznachbarn. 6 Stunden im Stau, Stau vor Würzburg, vor Regensburg, vor Wien. Verdammt, was für ein Horror, was für ein Scheiss in der stinkenden Kiste, Stundenlang – und ich beschwere mich über Gegenwind, schmerzenden Beinen.
Ich möchte (muss) noch lernen mit der Zeit besser umzugehen. Meine Zeit fürs Rad fahren, für Pausen, für Besichtigungen, Zeit zum lesen, Zeit zum plaudern ungezwungener , freier, entspannter einzuteilen.
Ich weiss für mich, dass ich für mich auf einer Suche bin, einen eigenen, einen steinigen Weg gehe, dass er nicht bequem ist, aber dass er viele Sträuße freundlicher Begegnungen, Blumen am Wegesrand, ein Lachen, Umarmungen, Segen und vielleicht auch leid geben wird. Aber es wird sich lohnen.

Ich möchte in einem Jahr in Vietnam sein. Na gut. War halt so eine Idee. Wollte Zeit für mich haben, Zeit für meine Reise, Zeit für meine Suche und Zeit Fragen zu beantworten.
Jetzt habe ich ein Jahr Zeit, soviel Zeit. Sie ist nicht zu fassen diese Dimension und die Strecke, die Entfernung, die Größe dieses Unterfangen ist für mich nicht zu erfassen, zu begreifen.
Ich dachte ich rechne, errechne mir einen Schnitt, einen Durchschnitt und dann brauche ich mich nur noch daran halten.
Und dann ist es wieder da, das Zeit Problem. Fahre ich morgen nicht weiter, muss ich tags darauf mehr fahren.
Vielleicht hat mich dieser Druck, ein selbstgemachter, selbst gewählter Druck vor ein paar Tagen bedrückt, hatte mir den Spaß, den Genuss an eine schöne Landschaft, an ein tolles Radfahrwetter genommen.

Fakt:
370 Kilometer, 5 Fahrtage, 1 Freiertag seit dem 15.4.2019 (508 km seit dem 11.4)
sind 61 Schnitt am Tag. Ok – sagt auch noch nichts über die nächste Zeit aus.
Aber 360 sind 2/100 der gesamten Strecke. Ich habe 2 Hunderstel.

Ich fahre der Sonne entgegen.
Ich stehe vor den Toren Wiens.
Wollte sie heute erobern, aber sie hat mich erschlagen. An meinem freien Tag habe ich versucht Wien zu Fuss zu erkundet. So gut es ging. Für meine Füße war das nichts. Aber für mein Augen.
Wien ist groß, großzügig, breit, gepflegt und beeindruckend. Wien hat Bauwerke, Geschichte, Lebensstil, Wien ist teuer, ist angenehm, ist fein, ist sich dessen bewusst. Wien ist, alt, liegt da fett seit Jahrtausenden an der Donau, Sonnt sich selbstbewusst, lässt Kritik an sich abprallen, geniest selbst ihre eigene Ausstrahlung. arrogant. Und doch hat es Charme, hat es Ecken und Kanten. Gesehen habe ich nur einen Teil der Innenstadt, nur einen kleinen Teil. Köln ist dagegen Schrott, verbaut, untauglich. Wien leitet den Verkehr, gibt den Menschen Platz, Raum zum Leben, atmen, ist ästhetischer. Breite Straßen, Platz für Fahrradstraßen, breite Wege.
Aber teuer. Die Wachau, Wien ist teuer. Für uns nicht verständlich. Für mich zu teuer.
Ich fahre weiter, trotz Muskelkater, der Sonne entgegen, auf den Spuren der ersten Menschenzüge, der ersten Wanderungen, der vielversprechenden Sonne entgegen.

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