Unterbrechung, ein notwendiger Einschnitt

Unterbrechung, ein notwendiger Einschnitt

Mein Sohn heiratet(e).
Es war in meine Reiseplanung nicht einplanbar. Ich hatte mich damit abgefunden.

Zwei Jahre Reiseplanung und Vorbereitung, zwei Jahre arbeitete ich auf den Tag zu an dem ich aus dem Alltag in Köln raus fahren wollte. Es sind unzählige Vorbereitungen zu treffen.
Kosten zu reduzieren, Fahrzeuge ab zu melden, Lager zu verkleinern, die noch unfertige Wohnung zu renovieren, der private Kram, Kleider zu verpacken, Platz zu schaffen dass man Fläche vermieten, eine größere Wohngemeinschaft bilden kann, Kosten zu reduzieren.

Dann setzt man sich einen Abfahrtstag, arbeitet darauf zu, hält ihn im Auge, hält an ihm fest. Sonst kommt man nicht weg. Sonst schafft man es nicht aufzubrechen. Es ist ein Muss.

Die Nachricht, dass ich Opa werde, mein Sohn heiraten wolle, Tränen des Glücks, der Freude für ihn, kam so unverhofft und plötzlich.
Es war ein dreiviertel Jahr vor meiner Abreise, vor dem Aufbruch zu meiner Reise Richtung China, die dritte Episode.
Nach der ersten, dem Ausbruch aus dem Alltag, des Stumpfsinns, des Lösens aus dem Schmerz, kam die Fahrt der Suche, der Erkenntnis, sollte nun die Fahrt des Findens, des Ankommens und des Friedens folgen. Man lernt, erfährt in Stufen.
Das mag nicht leicht zu verstehen sein. Was für manche eine Flucht zu sein scheint, ist die Suche nach dem Ich, der Seele. Eine Reise alleine ist ein Weg der Klausur, der Konzentration, ohne Ablenkung. Man stellt sich seiner.
Aus den ersten beiden Fahrten gewann ich viele Erkenntnisse, aus dem Wissen heraus kamen Fragen.
Jetzt wollte ich ohne Panzer und ohne Scheuklappen, ohne Motorradrüstung, ohne Ablenkung auf den Punkt zu fahren an dem ich damals eine der wichtigsten Erkenntnisse meiner ersten Reise gewonnen hatte.
Auf einem der höchsten Punkte des Pamirs.
Es sollte und durfte ein weiter Weg sein, ich wollte mir die Zeit nehmen, mich auf diesen Punkt zuarbeiten.
Darauf habe ich bald zwei Jahre hingearbeitet.

Es gibt einen festen Zeitplan…leider, leider unumgänglich. Die hohen Berge, Pässe Tadschikistans, Kirgistans, China und Pakistans, sind nach September, Oktober nicht mehr fahrbar. Die Distanzen bis dahin gewaltig.
Für Tadschikistan und den Pamir mit 1800 Kilometer habe ich 30 Tage eingeplant, den August, für China und den Karakorum weitere 30 Tage, den September.
Bleiben mir jetzt nur noch 4 Wochen für Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan, eine Schiffspassage, ungewisse Abfahrtszeiten, gewaltige Distanzen und wunderbare Städte wie Khiva, Bukhahra und Samarkand.

Am Samstag den 29.Juni heiratete nun mein Sohn. Eine Reiseunterbrechung war nicht eingeplant, war nicht möglich. Ich saß in T`blissi, Tiflis, vor meinen Karten, Visumanträgen, schrieb Tagebuch.

Dazu nun eine kleine Geschichte die mir seit dem Geschehen auf dem Herzen liegen. Nie verarbeitet werden konnten, da ich nie die Möglichkeit hatte sie mit meinem Vater zu klären, erst war ich zu jung, dann zu stolz, es tut mir ja gar nicht weh, ich bin ja schon groß, Indianer weinen nicht, dann keine Zeit, war zu dumm, zu beschäftigt, zu wichtig war dann die Teenagerzeit, ich war noch zu unerfahren die Wichtigkeit zu erkennen, dann war er tot.

Mein Vater am Zoo.
Ich bin einen Scheidungskind, vermisste meinen Vater, sah ihn alle zwei Wochenenden, er war gefühlt immer weit weg, zu weit, zeitlich, räumlich.
Ich ging in die vierte Klasse, erfuhr dass wir den Kölner Zoo besuchen würden. Köln, Wohnort meines Vaters, ich teilte es ihm an dem Besuchswochenende mit. Wir könnten uns außerhalb der gerichtlich angeordneten Zeit sehen. Teile ihm den Tag mit.
Der Bus fuhr vor, wir, die Klasse rannte durch den Eingang ins Gelände, entlang des Zauns.
Ich sah meinen Vater hinter dem Zaun stehen, er winkte. Er musste Stunden gewartet haben, da er nicht wissen konnte wann wir ankommen würden, wo wir parken, aussteigen, in welchem Bus wir, ich sein würde.
Ich sah ihn. Winkte zurück und rannte mit den anderen weiter.
Ich sah ihn und war mit dem Glück, mit dem plötzlich Möglichen überfordert, ungeübt, unfähig den echten Gefühlen, den wahren, ehrlichen in meiner Brust, der Sehnsucht, dem Herzen folgend, nach zu geben, zu handeln.
Ich ging cool mit der Gruppe weiter.
Ich brauchte 5 Minuten. 5 Minuten waren es vielleicht, vielleicht etwas mehr, bis ich regieren konnte und meinem Herzen folgend handeln.
Ich lief zurück zu dem Zaun. Ich wollte ihn sehen, sprechen, ihn berühren, ihm sagen dass ich ihn liebe, vermisse und dass ich stolz auf ihn bin dass er, mein Vater da ist.
Zu spät – er war gegangen.

Verpasst.
Eine verpasste Gelegenheit. Nichts läuft einem länger nach, als eine verpasste Gelegenheit. Eine Gelegenheit einem zusagen; Entschuldigung, ich liebe Dich, ich vermisse Dich, ich bin für Dich da. Eine verpasste Gelegenheit jemanden an zu lächeln, sich zu bedanken, jemanden an zu sprechen, ein Hallo zu sagen, wird belasten, man wird sich dran erinnern.
Verpasst zu spät.
Man kann einen Moment verpassen, ein Photo das nicht gemacht wurde, ist nicht nachhohl bar. Der Moment, die Gelegenheit verpasst dabei zu sein ist nicht nach holbar.

Gerorgien Tiflis.
Geraldine war zu Besuch.
Es ergab sich ein anderer Reiserhythmus, geschuldet an der Fortbewegung,
Geraldine mit den öffentlichen, ich mit dem Fahrrad.
Wir mussten die nächsten Ziele fest anvisieren, es gab für mich kein weiterfahren, kein vorher aufhören oder länger bleiben. Abflugstermin, der Rückflug Geraldines wurde festgelegt.
Mein Visum für China war in Arbeit. Eine Bestätigung, das Visum sagte man mir könnte ich erst nächste Woche, am Montag abholen.
Christoph, ein Radler auf dem Weg nach Asien, auf dessen Gemeinschaft ich mich freue, ist noch in den Bergen. Wir sind verabredet. Ich möchte mit ihm gerne Richtung Aserbaidschan weiterfahren.
Ich hatte plötzlich 4 Tage Stillstand, Zeit.
Ein ungeahntes, unerwartetes Zeitfenster öffnete sich für dieses eine Wochenende, ein Wink, ein Zeichen, ein Tritt.
Ich buchte mir einen Flug. Griff zu. Freitagabend war Platz in einer Maschine, Ankunft Köln 2:00 Uhr am Samstagmorgen, Trauung 13:45.
Die Hochzeitsgesellschaft steht vor der Severinstorburg, das Standesamt Köln traut in der Mittelalterlichen Torburg, ich sehe die ersten aus der Ferne, man lacht, begrüßt, freut sich, die Stimmung ist freudig, erwartungsvoll, sehe Blumensträusse, Luftballone, es ist sommerlich warm, heiss, ein stahl blauer Himmel.
Herzschlagen. Der Puls spürbar am Hals, der Mund trocken, die Augen feucht, die Hände nass.
Zwischen all den Gesichtern, Menschen, Freunden, Bekannte, Unbekannte, erkannte ich zuerst meinen Sohn, schneidig, stolz, groß, er sprühte sein Glück heraus, erblickte ihn, er mich.
Noch 5 Schritte, drei, zwei, einen, eine Umarmung, fest, haltend, wollte ihn spüren, halten, küssen, anschauen, sehen wie seine Augen glänzten, sein Anlitz, seine Augen die mir alles sagten, seine Hoffnung, sein Dank, sein Glück, sein Lächeln, ein Seufzen.
Ich war da. Ich war pünktlich, auf die letzte Minute, ich war pünktlich und wir hielten uns fest. Ich war glücklich. Ich war da. Er war glücklich. Ich war zu seiner Hochzeit gekommen.

Dankbar, glücklich darüber da zu sein, dabei zu sein, mitzuerleben, zu begleiten.

Die Trauung bewegend. Die Gesellschaft, Freunde und Verwandte harmonisch, liebevoll, brüderlich, einmütig. Freunde, Schulfreunde seit Jahren, feste alte Bindungen.
Jede Regung, Redewendung, Begegnung der Gäste spiegelte die Atmosphäre, die Gefühle, das Glück, den Dank, die Ausstrahlung Braut und des Bräutigams, Hochzeitsgesellschaft, an diesem Glanztag wieder.

Es war ein Fest.

Drei Tage bin, war ich insgesamt in Köln.
Dann wird der Flieger mich zurückbringen auf meine Tour, meine Reise Richtung China.
Der Einschnitt in die Fahrt, herausgerissen aus der Etappe, war notwendig, war heilsam, gut tuend, notwendig.

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