Category Archives: die 4.Etappe jetzt kommt der Pamir und…

5. September 2019 Pamir

Donnerstag 5. September 2019 21/29 Pamir
Murghab Pamir Hotel

Murghab muss man mal gesehen haben, Knotenpunkt des Pamir.

Die Ausstrahlung ist seltsam. Es ist nicht schön. Sie lädt nicht zum verweilen ein.

Doch das Örtchen ist wichtig. Ca. 300 Kilometer bis nach Sary Tash, der erste Ort in Kirgistan, und ca. 300 Kilometer bis nach Chorug, in mitten liegt  Murghab auf der M 41, findet man hier ein Hospital, Werkstätten, einem Basar, einem Markt in duzenden Container eingerichtet, etwas , leider sehr langsames Internet und ein paar Absteigen.

Ich begnügte mich mit kurzen Spaziergängen, pausierte, schone mich, nahm ein paar kurze Erkundungsgängen vor, schaute mir eine Lenin Statur an, den Markt, eine Metzgerei, drei Jaks wurden gerade zerlegt, betrachtete die flachen umliegenden Wohnbauten und photographierte viel.

Einem wollte ich mich nicht aussetzen. Dem Wind. Unerbittlich beginnt er gegen Mittags, stetig aus einer Richtung, bläst kalt, hart, treibt Sand und Staub vor sich her. Vorher war ich zurück im Hotel zurück.

Ich werde ihn auf meiner Weiterfahrt im Rücken haben. Richtung Chorug ist er neben der schlechten Straße, der Höhe, den Pässen ein zusätzlicher unerbittlicher Gegner.

4. September 2019 Pamir

Mittwoch der 4. September 2019 20/29 Pamir
Alikhur Shokhrona homestay • Murghab  Pamir Hotel

„Wieder“ einen LKW genommen.

Der erste LKW der auf der Straße Richtung Murghab, auf der M41, die alte russische Verbindungsstraße über den Pamir kam, hielt an und wurde von meiner Gastwirtin zur meiner Mitnahme aufgefordert.

Ich hätte besser auf einen anderen Fahrer gewartet. Dieser fuhr ohne Rücksicht auf LKW, Gepäck, seiner selbst und Beifahrer. Zu jung, zu draufgängerisch, zu überheblich, ich weiss es nicht. Das Gepäck wurde neben dem Rad unsanft hinten in den Container geworfen, das hätte ich vermeiden müssen, der LKW gestartet und über die Piste gejagt.

Dreck und Staub rüttelten sich durch die geschlossenen Taschen, Schrauben lösten sich, alles litt unter diesem Ritt.

Müde und gerädert, der Rücken weh, aus dem Sitz mehrfach geworfen worden, gute Mine zu dem schlechten Spiel gemacht, inständigste gehofft dass das Rad durch die 3 an einer Seite befestigten, gebundenen Taschen, schadlos in Murghab ankommt.

Vor dem Pamir Hotel entließ er mich. Taschen und Rad wurden aus dem Container gehievt, herausgeflogene Teile, Schloss, Seifen und Sonnenschutzcremes eingesammelt dazu gereicht, auf dem Boden hinter dem LKW auf der Straße abgelegt. Ich war über den Zustand, dem Äußeren betrübt. Das hätte so nicht sein brauchen, dürfen.

Shawn und Stewart kamen mir entgegen und halfen mir das Gerödel vor den Eingang des „Pamir“ zu schaffen.

3. September 2019 Pamir

3. September 2019 19/29 Pamir
Alikhur Shokhrona homestay • 3880 über Meer • dritte Nacht

Ich habe keine Lust mehr über meinen Infekt zu schreiben. Mir stört diese Krankengeschichte.

Und doch zwang sie mich nicht nur zu Ruhe, zur Einkehr, bot mir Zeit zum schreiben und vor allem die Gelegenheit ein bisschen mehr in diesen Ort, einem tadschikischen, auf dem Pamir einzutauchen, etwas von den Lebensumständen, dem Aufwand, dem Leben zu erfahren.

Die beiden Steward und Shawn sind heute morgen gestartet, weitergefahren, haben sich noch verabschiedet. Bin gespannt ob ich sie in Murghab, morgen möchte ich weiter, wiedersehen werde.

2. September 2019 Pamir

2. September 2019 18/29 Pamir
Alikhur Shokhrona homestay • 3880 über Meer • zweite Nacht
3880 über Meer.
0 km

Na gesund ist anders. Ich fühle mich schlapp, gerädert.
Also langsam treten, Tee trinken.

Ich stattete den beiden Shawn und Steward einen Besuch ab. Shawn liegt flach. Gehe mit Steward auf einen Spaziergang durch den Ort.

Ich wollte heute etwas über das Leben der Tadschiken schreiben. Pamiries, Usbeken, Kirgisen, Tadschiken die hier in dem Land leben.

Etwas über ihr Leben, ihre Einstellungen, die Arbeit, die Umstände, das Patriarchat, das Selbstverständnis im Umgang. Die Kinder die mitarbeiten, eingesetzt werden, Wasser holen, schleppen, Tiere hüten, Gras mähen, Mädchen die im Haushalt mit kochen, putzen, waschen, Betten bauen.

Es gibt für den ersten Einsatz keine Altersbeschränkung, nur ein Selbstverständnis.

Die Landschaft hier oben, nun auf 3800 bis 4200, das Dach der Welt, karg, entbehrungsreich, einfach, schwierig. Es gibt ein paar Tiere, Kühe, Schafe, Ziegen. Das Land ist kahl gefressen, überweidet.

Eine Wasserversorgung besteht. Es gibt ein paar Brunnen, ein paar Bäche, Rinnsaale.

Es gibt ein paar Schulen, die Kinder gehen adrett in Schuluniform, blaue, Mädchen mit Zöpfen und Spangen, weißen Püscheln, Blusen, Jungs in Anzügen und Krawatten, die Landesfahne aufgestickt. Es gibt ein Schulprogramm, Essen für Unterricht.

Wir fahren, radeln, gehen hier über das Land, staunen, erfreuen uns an der Landschaft, den pittoresken Dörfern, den alten Autos, wunderschöne Photomotive, Bergpanoramen, ziehen vorbei, fahren weiter, suchen das nächste Funknetz, Internet, warme Dusche und sind stolz da durchgefahren zu sein.

Das war hart sagen wir. Das war hart. Das war die härteste Tour, Etappe, Tag sagen die Reisenden, sitzen in Hostels zusammen, gut behütet und versorgt, trinken Bier, stossen an, gucken auf ihr Telefon, stellen Vergleiche zu anderen Reiseziele, empfehlen andere Hostels, da gibt es gutes Wifi, kaltes Bier, warme Duschen.

Gestern zog ich mir zum zu Bett gehen meine Socken aus, sah, die Füße schwarz von Staub und Dreck bedeckt. Die Wäsche, denke ich, ist noch gut, die hält noch ein paar Tage.
Die Familie die mich aufgenommen hat, versorgt, umsorgt hat kein Badezimmer, es gibt kein fließendes Wasser, kein Strom. Die Nachbarn haben das auch nicht.
Alikhur, kein kleiner Ort, knapp 300 Familien, ein Teil Tadschiken, ein Teil Kirgisen, hat kein Strom und hat kein fließendes Wasser.
Man fragte mich was willst du in einem Ort wie Alikhur oder in Karakul? Da ist nichts.
Ja, da ist nichts. Und doch. Da sind die Pamiries, Usbeken, Kirgisen, Tadschiken, da leben sie, so leben sie. Da ist der tadschikische Alltag
Atmosphäre atmen, eintauchen, kennenlernen, zulassen, erfahren.
Bleiben, länger bleiben. Kennenlernen. Wissen. Verstehen. Einfühlen.

In manch einem Hostel mit Bier, Musik, Wifi, Internet mitten im Land, ist man so weit weg von dem Land, das man bereist, wie es nur in einer Kunstwelt geht. Man sieht Reisegruppen die Tausende Kilometer angereist sind um über das Dach der Welt zu fahren, hetzten von einer ein bisschen besseren Pension zur nächsten. Erste Frage gibt es Internet.

Doch die Welt, die Realität ist vor der Türe, ist auf der Straße, ist in den Häusern.

Ich bleibe gerne ein paar Tage mal in einem homestay wie das Shokhrona.
Sehe wie die Kühe abends frei zum Stall kommen, gemolken werden, die Butter geschlagen wird, die Sahnecreme abgeschöpft, der Ofen, der Herd mit getrocknetem Kuhmist geheizt, stolpere nachts durch die Küche, über die drei schlafenden Schaffenden zum Klo und suche im Dunkeln das Loch.
Tadschikistan kennenlernen oder durch fliegen.

1. September 2019 Pamir

1. September 2019 17/29 Pamir
Jelondy – Homestay – Alikhur Shokhrona homestay • 3880 über Meer • erste Nacht
0 km

Die beiden Shawn, Steward, der Ire und der Engländer „aus Vancouver“ wollten den Pass heute fahren.

Sie kochten abends, morgens ihr eigenes Essen im Freien, aßen auf dem Mäuerchen.

Ich kroch langsam aus meinem Zelt, sah die beiden noch beim packen, motiviert, sie wussten was für ein Pass auf sie zu kommen würde. Ich hatte keine Zeitnot, musste nicht, um vor ran zu kommen, pünktlich auf. Konnte mich strecken, frühstücken und dann langsam packen.

War es richtig abzubrechen, der Entschluss die nächsten Kilometer einen LKW zu nehmen, über den ersten Pass mit über 4200 Meter, war es feige, war es weise?

Ich bereute es einwenig.

Ich schob mein Rad beladen an die Straße, viele Fahrzeuge kamen nicht vorbei. Der dritte LKW hielt an.

Der Fahrer wollte mir verständlich machen, dass er das Rad nicht transportieren könne. Der aufgeladene Container leer, der Boden Fingerdick mit Staub, Kohlenstaub und Schmutz bedeckt, keine vernünftigen Befestigungsmöglichkeiten seien vorhanden.

Sollte ich ihn ziehen lassen, hoffen dass ein anderer kommt. Sie würden alle gleich sein, leere, schmutzige Seecontainer gleich. Sie fahren leer nach China, kommen voll beladen zurück.
Aber der Fahrer, zuerst skeptisch, dann doch hilfsbereit, sich der Umstände bewusst, konnte sich arrangieren.
Das gute Gepäck, Kamera, Laptop, Wäsche, drei Taschen kamen nach vorne ins Fahrerhaus, die drei letzten Taschen, Zelt, Küche, Nahrungsmittel band ich alle auf eine Seite des Rades, legte es drauf und vermied so dass es bei der Rüttelei auf den Boden schlagen konnte.

Es ging los. Mit einem LKW zum Pass, über eine Hochebene, nach Alikhur.

Atemberaubend das Panorama. Mit stetiger Höhe kam man den Gipfeln immer näher.

Nach 10 Kilometer, kurz bevor der Asphalt abbrach, hielten wir, stieg der Fahrer aus und deutete an dass das Rad irgendwie zusätzlich fixiert werden müsste. Ein breites Band, das über den Boden gespannt wurde, sollte das Rad auf den Boden zwingen.
Wir überholten die beiden, morgens gestarteten, Radler, ich sah sie noch wie sie, motiviert, in die nächste Rampe einstiegen.

Dann musste ich mich auf die Straße konzentrieren.
„Gott“ (was für ein mir seltsam vorkommender Ausdruck des Erstaunens, der Dankbarkeit und des Erschreckens)
Gott was war ich froh im LKW zu sein.
Auf 30 Kilometer ging es steil hoch, die Straße übersäht mit Steinen und Geröll, Schlaglöcher und Bodenwellen. Im Kriechgang kämpfte sich der LKW hoch.
Ich hätte bei bester Gesundheit es nicht geschafft diesen Pass zu bezwingen.
Es war eine Materialschlacht. Harte Stöße, der Wagen ausgelegt für viele duzend Tonnen Zuladung, jetzt leer, übertrug jeden Schlag, jedes Loch unbarmherzig, direkt, ungefedert auf Chassis, Rahmen, Fahrer und Fracht.
Ich rechnete mir aus das gute Radler, mit wenig Gepäck, unter größtem Aufwand es vielleicht in 2 Tagen bis nach Alikhur schaffen könnten. 8 bis 10 Stunden für die ersten 50 Kilometer.

Alikhur.

Ich konnte den Fahrer, dankend, belohnend, leider nicht mehr zu einem Essen, zu einem Chai bewegen.
Jetzt stand ich vor dem Ort der mich damals so tief beeindruckte.
Das Restaurant, eine Gastniza, eine einfache Gaststätte am Ortsanfang, in das ich vor 8 Jahren ausgehungert, ausgemergelt, durstig fiel, ist etwas umgebaut worden, die Betten sind herausgeräumt, etwas von dem Charme vergangen.
Das Marco Polo homestay mit bathroom, ist geschlossen worden, der Schriftzug übermalt,  mein Handtuch, das ich vor 8 Jahren dort vergaß, nun endgültig aufgegeben.

Ich quartiere mich im Shokhrona homestay ein.
3 Frauen betreiben es neben ihrem tagtäglichen Werk. Mutter, vielleicht Schwester oder Schwägerin und eine Tochter, kümmern sich.
Es gibt kein Badezimmer. Es gibt ein Klohäuschen auf der Straße, nachts, dunkel ohne Licht, im Winter eiskalt.
Hände kann ich mir in der Küche waschen, eine Art großer Dröppelminna über einem Waschbecken steht in einer Nische.
Strom gibt es keinen.
Mein Schlaf- und Wohnbereich ist im Anschluss an die Küche. Abends werden die Matten von einem Stapel geholt, ausgelegt, Decken hervor geholt, der Ofen einmal gestartet und angebrannt, Tee serviert.
Abendessen um sieben, Betten bauen um acht, Schlafenszeit für alle um Neun.
Wenn man noch mal auf Toilette muss, geht es durch die Küche an den drei schlafenden Frauen vorbei.
Ach.

Und plötzlich standen nachmittags der Engländer und der Ire vor mir.
Tourabbruch. Magen verdorben. Körperlich am Ende mussten sie auch einen LKW anhalten.

31. August 2019 Pamir

31. August 2019 16/29 Pamir
Shtam – Garten neben Haus , nach Jelondy – Homestay
66,81km 5:12 Std, 12,84 Durchschnitt 869 hm

Ich bin gefahren, habe die Fahrt auch genossen, die Landschaft bewundert, mit den Kindern auf der Straße gelacht, aber es war auch eine Qual.
Leistungsabfall.
Gestern war meine Kraft gefühlt nur stark eingeschränkt, heute ging es noch schwerer.
Es war nicht zu erkennen wo dran es lag, zu zuordnen. Sicher der Infekt. Aber wie viel macht die Höhe zusätzlich aus, wie viel das Gewicht des Fahrrads, wie viel meine Kondition, mein Alter, mein Lebensstil, meine Moral. Meine Gedanken kreisten.
Immer wieder ging es mal rauf, kurze Rampen, lange Brücken, steile Kehren oder seichte Anhöhen. Ich konzentrierte mich auf den nächsten Buckel, achtete auf die Atmung, schaltete runter, spürte in Beinen und Herzrhythmus die Gradzahl der Steigung. Verglich die Leistung mit anderen Tagen, anderen Bergen, in anderen Ländern.
Lag alles an dem Infekt? Wie viel beeinflusste er meine Leistung.
In allem lag die Hoffnung nicht ernsthaft krank zu sein.

66,81 Kilometer – ich konnte nicht mehr.

Ich schlug mein Zelt im Garten eines Homestay auf, ließ mir gerne noch heiße Suppe, Tee servieren, wollte aber in Ruhe für mich in meinem Zelt haben und meinen Kampf mit der Atemnot und austrocknendem Mund alleine angehen.

Tagsüber traf ich auf einen Iren und einem Engländer. Sie schlossen auf. Wir hatten zusammen eine kleine Pause, fuhren dann vor. Ich traf in dem Homestay wieder auf sie.

Resignation.

Mein Entschluss für den nächsten Tag.
Ich werde einen LkW  anhalten, die letzten 80 Kilometer bis nach Alikhur, nehmen.
Ich kann nicht mehr fahren.
Ich gab auf.
Mein Infekt war nicht überstanden, Hals und Gliederschmerzen kamen auf, Schwäche.
Ich hatte Angst Fieber zu bekommen.
Mit dem Engländer Steward und dem Iren Shawn sprach ich über den Kampf, Disziplin, sinnlose Überanstrengungen, Dickköpfigkeit, über Moral und Mentalität.
Wie wichtig es ihnen, es anderen ist jeden Meter mit dem Rad gefahren zu sein.
Wo beginnt man, jeder für sich zu sagen das sollte man weiterfahren, das sollte man bleiben lassen, das kann man bleiben lassen?
Schön wäre es, wenn ich weiterfahren würde, es schaffen könnte, es genießen könnte.

Jeder Berg ist zu schaffen. (fast jeder). Wenn nicht in einem Tag, oder zwei dann halt in drei, wenn man nicht fahren kann dann schieben, wenn nicht mehr schieben dann jedes Gepäckstück einzeln rauf tragen.

Und genau da hört es bei mir auf. Das mache ich nicht.

Die Beine dürfen gerne abends mal dick sein. Ich habe nichts gegen Anstrengungen, schwitzen und auch ein bisschen leiden. Das gehört zu einer Radtour.

Aber wenn ein Weg für mich nicht mehr fahrbar ist, ob nur weil gesundheitlich geschwächt, oder konditionell und Kräfte mäßig nicht möglich, die Ausrüstung, das Rad nicht passend  dann muss und möchte ich es bleiben lassen.